flirten

1. Beide Flirtpartner stellen bei sich - und möglichst ihrem Gegenüber- positive Reaktionsmöglichkeiten. Das können z.B. Gefühle (warm, aufgeregt), Gedanken (ich mag ihn), Vorstellungen (wie sie wohl tanzt) oder Urteile (der ist interessant) oder Aktionen (ich schenke ihr Blumen) sein. Man nimmt solche Möglichkeiten bei sich wahr, ohne recht wissen zu wollen oder zu müssen, wie relevant sie eigentlich sind. Zum Flirten gehört auf jeden Fall die mindestens einseitige Bereitschaft, sich positiv anregen zu lassen und der Wunsch, dass es zu einer Beidseitigkeit kommt. Unerheblich, und nicht selten unklärbar ist, wer beginnt. Unerheblich ist sogar, welche Gefühlsqualität, welche Absichten ,Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte usw. dabei eine Rolle spielen. In jedem Fall setzt der Flirt voraus, dass ich auf einen anderen Menschen positiv reagiere und bereit bin, etwas für ihn zu tun. Der totale Flirtkiller besteht darin, auf Menschen negativ zu reagieren und nur etwas zu fordern. Das ist z.B. der Fall, wenn Sie beleidigt oder nur trübselig auf einem Fest sitzen und warten, dass jemand Sie erlöst. Sie sind dann allenfalls eine Herausforderung für ein Helfersyndrom, z.B. in Form eines Therapeuten. (Gönnen Sie ihm keinen Erfolg, er geht dann nämlich zum nächsten Projekt...)

2. Zwei Menschen (oder nur der eine dem anderen) signalisieren einander diese Tatsache lediglich. Sie befassen sich nach außen mit dem ganz normalen Kontakt, spielen Tischtennis, reden über Gott und die Welt oder befinden sich nur gemeinsam an einem Ort. Mit Blicken, der Stimme, der Körperhaltung, dem zugewandten Interesse oder auch Provokationen erhält der Flirtpartner Hinweise auf „mehr“, aber eben nur Hin- und keine Beweise, u.U. noch nicht einmal dafür, dass es sich bereits um einen Flirt handelt. Unter Kinder und Jugendlichen ist es geradezu ein Sport herauszufinden, wer an wem interessiert ist - und ihn dann zu „outen“, also bloßzustellen. Später wird dies in Form von Tratsch und Klatsch weiterpraktiziert, der Bloßgestellte wiederum kann dementieren, wütend reagieren, geschmeichelt sein oder mit der Regel 'Der Kavalier genießt und schweigt' reagieren. Um den Flirt in Gang zu bringen, ist es also notwendig, dem Anderen in irgendeiner Weise Hinweise zu geben, auf der anderen Seite aber auch etwas zurückzuhalten. Das kann zu einem offenen und lebendigen Spiel werden - beide genießen ihre Flirtmacht. Es kann zu einem manipulativen Spiel werden, der eine versucht den anderen auszutricksen. (Cartoon Marunde - Wild und Hausschwein, Cartoon Fuchs und Gans)

3. Beide spielen mit den vorhandenen Möglichkeiten und erkunden sie darüber. Ein Ziel des Spieles ist es, Gemeinsamkeit und Übereinstimmung bei vorhandenen Möglichkeiten herauszufinden. Das Erleben dabei entspricht der Vorfreude auf kommende schöne Ereignisse, wobei es noch nicht ganz sicher ist, ob diese Vorfreude berechtigt, kühn, tollkühn oder gar verrückt ist. Die Kunst des Flirtens besteht dann darin, dieses Spiel zu genießen und auszureizen. Die Teilnehmer lernen ihre Stärken kennen. Man könnte natürlich die Karten einfach auf den Tisch legen und dann feststellen, ob man übereinstimmt oder nicht. Es ist jedoch spannender und die Phantasie anregender, Gefühle füreinander zu erraten, als sie offenzulegen. Im Übrigen verhindert dieses vorsichtige Aufeinanderzugehen, dass sich der ein oder andere - oder beide - im Überschwang der Gefühle völlig verrennen. Wer möchte schon in der lächerlichen Position des Rotkehlchens sein, das ein rotes Wattebäuschen angeht, oder des Stieres, dem zur Paarung bereits ein duftendes Fell auf einem Gestell reicht?

4. Das Reizvollste am Flirt besteht jedoch darin, dass über den Flirt nicht nur vorhandene, sondern auch die Entwicklung ganz neuer Möglichkeiten angeregt werden. D.h., im Flirt liegt immer auch eine Verheißung, eine Versprechung, eine Provokation und Anregung. Gerade die Tatsache, dass „noch nichts“ passiert, erlaubt dem einen, alle möglichen Ideen und Phantasien anzuregen, und dem anderen sie aufzunehmen und ihnen auf der Phantasieebene nachzugehen. Es werden damit Begehren, Wünsche, Sehnsüchte einem konkreten Menschen gegenüber entwickelt, die vorher noch gar nicht da waren. Aus diesem Grund wäre es auch falsch oder gar unmöglich, sich einfach dem anderen zu öffnen - es ist vielleicht noch gar nichts richtig da. Irgendwann merken die Beteiligten dann plötzlich, dass etwas entstanden ist: Ella Fitzgerald besingt dies in: „This was the end of a wonderful friendship, and just a beginning of love." Das gleiche Thema bei K.Lage in: "Tausendmal berührt, tausend mal ist nichts passiert, plötzlich einer Nacht, hat es zoom gemacht.“

Politiker und Werber, die sozusagen nur eine Marktforschung nach vorhandenen Bedürfnissen machen, verfehlen in der Regel das Ziel. Viel wichtiger ist, bei den Menschen die Entwicklung von Visionen und Gefühlen zu befördern. Eine Ware verkauft sich oft nur über das damit erzeugte Image, das zur Ware selber nur eine sehr entfernten Beziehung hat. Man nennt das auch „Bedürfnisse wecken“. In der Liebe spricht man von Verlocken oder Verführen. Berühmtes klassisches Vorbild ist die Begegnung von Odysseus mit den Sirenen oder der Besuch bei der Zauberin Circe (jemanden becircen). Ob man den Appetit auf ein Essen durch schöne Umgebung, erlesene Bedienung und appetitliche Anrichtung erhöht , oder die Sehnsucht eines Menschen durch verführerische Kleidung, Mimik, Gestik oder Umgangsweisen weckt, kommt auf dasselbe heraus, es werden Bedürfnisse geweckt.

Selbst die Herrschaft über Menschen findet wirksamer durch Herrschaft über die Entwicklung ihrer Bedürfnisse und Wünsche als über Herrschaft über die Mittel zur Befriedigung statt. Die Kirche hätte nie Macht über Tod und Leben von Menschen (Hexenverfolgung, Kreuzzüge, Religionskriege) gehabt, wenn sie nicht die Sehnsucht nach Erlösung gefördert und Erfüllung um den Preis von Verzicht und Anpassung an Normen versprochen hätte. Nicht umsonst nimmt die Religiosität mit der Armut zu und dem Reichtum ab: Der Reiche ist weniger erlösungsbedürftig, er leidet weniger. Der ursprüngliche Buddhismus (Sidharta Gotama, 560-480 v.Ch.) sieht im Verzicht auf Begierden und Leidenschaften (nebst Beenden von Unwissenheit) den Königsweg heraus aus dem Leiden. Hätte sich diese Haltung in Indien durchsetzen können, wäre sie eine machtvolle Gegenbewegung gegen das die Herrschaft der arischen Einwanderer über die unterdrückten Völker sichernd Kastensystem geworden. (Ebenso die philosophische Richtung der Stoa).

Flirten hat daher viel mit der Entwicklung von Bedürfnissen, Wünschen, Hoffnungen, Sehnsüchten zu tun. Ein völlig saturierter Mensch flirtet nicht mehr. Das Geheimnis des guten Flirts besteht viel eher in seiner Eignung Bedürfnisse zu wecken und zu entwickeln, als vorhandene zu befriedigen. Flirten findet daher nicht nur in erotischen sondern allen Beziehungen statt, in denen noch offen ist, was Menschen miteinander wollen oder wünschen.

Flirten unterscheidet sich von Verliebtheit. Wenn man verliebt ist, kann man zwar auch flirten und wird das wohl auch meist tun. Aber nicht jeder der flirtet, ist verliebt, und nicht jeder, der verliebt ist, flirtet. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass der Verliebte schon weiß, dass er den anderen will, der Flirter weiß nur, dass er vielleicht wollen könnte, wenn er täte wie er fühlte wie er merkte, dass er sah, wie sie guckte.. ach! und überhaupt!..

Im Moment der 'Liebe auf den ersten Blick', vor allem, wenn sie gegenseitig ist, sehen etliche den effizientesten Flirt überhaupt, sozusagen der Treffer im Lotto. Dieses Verständnis von Flirt ist einer der Gründe, warum so viele Menschen nicht mehr flirten: Sie warten auf den großen Durchbruch.

Heimlichkeit oder Exklusivität sind keine notwendigen Merkmale des Flirtens. Flirts finden öffentlich statt, wenn jemand keine negativen Folgen zu befürchten hat. Wem das Herz voll ist, dem fließt der Mund über. Man kann außerdem mit mehreren Menschen nahezu gleichzeitig flirten. Man sagt dann, sie (oder er) verdrehte allen möglichen Leuten den Kopf. So flirtet dann der Popstar mit seinen Fans. Diese wenden dann alles an, um auf die ein oder andere Weise mit ihm zu flirten (hinter die Bühne zu kommen, schreiben, ihn im Hotel oder auf der Straße treffen usw.)

Die erotische Komponente spielt bei vielen Flirts eine wesentliche Rolle, sie ist aber keineswegs notwendig und bei vielen Flirtarten auch völlig abwegig. Das ist die Quelle vieler Missverständnisse.

 


Fotograf: mp3_master - aboutpixel.de